75 Jahre SID

Die erste Ausgabe des “Westdeutschen Pressedienstes”

Interview mit Medienwissenschaftler Dr. Christoph Bertling von der Deutschen Sporthochschule Köln

Videobotschaften zum Jubiläum

Video 75 Jahre SID

SID 1945

Die erste Ausgabe des “Westdeutschen Pressedienstes”

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Interview Dr. Christoph Bertling (SpHo Köln)

Köln, 28. September – Vor 75 Jahren – am 1. Oktober 1945 – verbreitete der Sport-Informations-Dienst (SID) seine erste Sportgeschichte. Die Herausforderungen der Nachkriegszeit meisterte die Agentur und schwang sich zum führenden Lieferanten von Sportnachrichten auf dem deutschen Markt auf. Der digitale Wandel, der Konkurrenzkampf um die Information und die seriöse Einordung von Nachrichten in der Corona-Pandemie sind heute die bestimmenden Aufgaben.
Im Interview blickt Medienwissenschaftler Dr. Christoph Bertling von der Deutschen Sporthochschule Köln auf die Geschichte, die Entwicklung und die Zukunft des SID. Bertling erkennt „extreme Herausforderungen“, für die er die Kölner Agentur durch die Synergieeffekte aus den Geschäftsfeldern Text und Video gerüstet sieht. Darüber hinaus biete die Corona-Pandemie bei allem Risiko für die Nachrichtenagentur „sehr gute Chancen“, sagt Bertling.

Frage: „Was verbinden Sie persönlich mit dem SID?“
Dr. Christoph Bertling (Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln): „Ich selber verbinde damit eine Institution, die sehr eng mit der Sportgeschichte der Bundesrepublik Deutschland verbunden ist. Alle großen Sportereignisse hat der SID begleitet und damit in deutsche Redaktionen und Haushalte gebracht.“

Frage: „Welche Rolle nahm eine Nachrichtenagentur wie der SID bei der Gründung ein? Und welche Rolle spielt sie heute?“
Bertling: „Ich glaube, dass sich die Rolle tatsächlich sehr gewandelt hat. Am Anfang, bei der Gründung des SID vor 75 Jahren, hatten Informationen an sich einen großen Wert. Die Dokumentation des internationalen Sportgeschehens spielte eine sehr große Rolle. Das hat sich komplett geändert. Die Information an sich hat heute kaum noch Wertigkeit. Informationen können überall abgegriffen werden, damit steckt eine Nachrichtenagentur in einer schwierigen Lage: Es geht nicht mehr um die Information, sondern immer stärker um die Qualität der Information. Doch die Qualität einer Nachricht zu vermitteln, was alles dahintersteckt, welche Mühen, ist ungemein schwierig zu vermitteln. Die meisten Menschen setzen sich mit dieser Frage überhaupt nicht auseinander, obwohl es eigentlich die zentrale Frage sein sollte.“

Frage: „Wie wirkt sich die Marktsituation aus?“
Bertling: „Der Konkurrenzkampf um die Information liegt nicht mehr nur noch auf dem Agenturmarkt, durch die Digitalisierung kommunizieren immer mehr Leute und streuen Informationen. Sportvereine, Sportartikelhersteller, Verbände – alle haben sie ihre zahlreichen Sprachrohre entwickelt. Sie haben alle ihre eigene Nachrichtenwelt aufgebaut. Diese PR-Produkte sind große Konkurrenz, auch wenn sie eigentlich nichts mit Journalismus zu tun haben. Doch – wie bereits gesagt – dies hinterfragen nur wenige. Selbst in vielen Sportredaktionen verschwimmt das Verständnis von PR und Journalismus. Klare Grenzen werden hier kaum noch gezogen. Dazu kommt die Schnelllebigkeit des Geschäfts. Der SID war immer bekannt, besonders schnell zu sein, aber die Informationen sind so schnelllebig, dass es kaum noch eine Chance gibt, davon lange leben zu können. All dies sind extreme Herausforderungen.“

Frage: „Über das klassische Geschäft hinaus: Welche Entwicklung hat Sie in den vergangenen Jahren beim SID überzeugt?“
Bertling: „Die Einführung einer Videoabteilung beim SID war sehr sinnvoll. Bewegtbilder sind immer wichtiger geworden – durch die Digitalisierung im Internet wohl noch wichtiger als das Kerngeschäft Text. Wir wissen, dass die Inhalte, die am besten ankommen, Videos sind. Ich glaube, dass man Synergieeffekte nutzen muss, um sinnvoll zu arbeiten. Inhalte sollten möglichst multimedial aufbereitet und auf möglichst vielen Kanälen gestreut werden. Genau das tut der SID meines Erachtens.“

Frage: „Wie schlägt sich der Sportjournalismus in der Krise? Liegt darin auch eine Chance für die Agenturen?“
Bertling: „Ich glaube, dass den Leuten klarer geworden ist, wie wichtig in einer Pandemie seriöse, gut recherchierte Quellen sind – auch wenn ich nicht weiß, ob man das schon geschäftlich nutzen kann. Viele haben jetzt gemerkt, wie gefährlich es ist, wenn Informationen, die von großer Bedeutung sind, nicht richtig recherchiert und unzuverlässig sind. Wenn die Agenturen mit ihrer Verantwortung richtig umgehen, kann das für eine Renaissance von Nachrichtendiensten sorgen. Die Schizophrenie an der Sache ist aber: Sie müssen den Leuten aufzeigen, dass sie seriös sind und dass die Quellen gut recherchiert sind. Doch die meisten Menschen kümmern sich nicht darum. Wenn Nachrichtenagenturen es allerdings schaffen, weiter gut zu recherchieren und die Informationen werthaltig zu vermitteln, dann haben sie momentan sehr gute Chancen, gestärkt aus der Coronakrise rauszugehen.“

Frage: „Keine Termine, keine Aktualität: Wie sind Agenturen aus Ihrer Sicht bislang mit der Krise umgegangen?“
Bertling: „Ich kann das nicht auf Nachrichtenagenturen runterbrechen, weil sich eine Nachrichtenagentur diese Frage gar nicht stellen muss. Sie muss Nachrichten, wie sie da sind, aufgreifen. Der Sportjournalismus insgesamt war ziemlich einfallslos. Man hat gesehen, wie stark er von Geschehnissen und der Liveberichterstattung getrieben ist. Ich hätte viel mehr Features, Hintergründe erwartet – nur: wer fragt das nach? Ich glaube, die Nachfrage im Sport ist sehr nah am Wettkampf, an den Geschehnissen orientiert. Insgesamt fand ich es relativ mau, dabei möchte ich aber die Nachrichtenagenturen in Schutz nehmen, denn ihr Kerngeschäft ist es nicht, Aktualität zu schaffen, sondern Aktualität widerzuspiegeln.“

Frage: „Welche Zukunftsfelder bieten sich dem SID nach 75 Jahren?“
Bertling: „In der Berichterstattung über gesellschaftlich relevante Felder wie Frauensport, Klimawandel oder mündige Athleten sehe ich Potenzial. Was im Hintergrund eine sehr große Rolle spielen wird, ist KI – Künstliche Intelligenz. Gerade Datenjournalismus wird eine große Rolle spielen. Über Big Data können Recherchen auf einer solideren, überzeugenderen Basis fußen.“

Frage: „Und sonst?“
Bertling: „Unterhaltung wird im Sport immer eine große Rolle spielen, aber ich glaube, dass Politik auch eine immer größere Rolle spielen wird. Das sehen wir bei Trump, Kaepernick und den Streiks, die es gerade gibt. Es scheint im Profisport zunehmend wahrgenommen zu werden, dass der Sport sozial verankert ist und nicht nur ein Wirtschafts- und Unterhaltungsgut. Ich weiß nur nicht, wie groß die Nachfrage ist. Vielleicht gibt es Möglichkeiten für eine Beimisch-Strategie, um seine eigene Seriosität bei Nachrichten im Sport zu unterstreichen. Nach dem Motto: Wir haben den Fokus, was die Kunden wollen, bieten darüber hinaus aber ein breites Spektrum an. Für den SID wohl keine neue Erkenntnis. Eine sportpolitische Taskforce hat der SID ja schon vor Jahren erfolgreich aufgestellt.“


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